Ganz entspannt

Ein ganz wesentliches Thema aus dem Bereich der Gesundheitspsychologie ist die Entspannung. Wenn wir gesund sind, werden stressige Phasen der Anspannung immer von Phasen der Entspannung und des Wohlgefühls abgelöst. Unsere Muskeln, unser Kopf und unser Herz – alle brauchen regelmäßig Pausen und Zeit für Erholung. Zum Einen, um Erlebtes verarbeiten zu können und zum anderen um wieder gut gerüstet für neue Herausforderungen zu sein

Wenn wir nun Zeiten von zu viel Stress oder Schlimmes erlebt haben, kann dieser natürliche Mechanismus außer Kraft gesetzt werden. Zuerst merken wir das vielleicht gar nicht. Hin und wieder ertappen wir uns dabei, dass wir mit hochgezogenen Schultern vor unserm Computer sitzen. Vielleicht schon seit Stunden, Minuten oder gerade erst? Uns ist das Gefühl für uns selbst zum Teil verloren gegangen. Häufig befinden wir uns dann in einem dauerhaft angespannten Zustand, aus dem wir nicht mehr so einfach herauskommen.

Es gibt zahlreiche wissenschaftlich untermauerte psychologische Entspannungstechniken, die dabei helfen können sich wieder zu entspannen und zum natürlichen Wechsel des Angespanntseins und des Entspanntseins zurück zu finden. Hierbei gibt es je nach Typ und nach Art der Anspannung eher aktive Verfahren und eher passivere.

Beispiele für die passiven Verfahren sind Phantasiereisen, das autogene Training, meditative Übungen, Achtsamkeitsübungen oder die klinische Hypnose.
Vielleicht fällt Ihnen spontan ein Ort ein, an dem Sie sich wohlfühlen und an den Sie sich in Gedanken hinträumen möchten. In Form eines Rituals können Sie das z.B. jeden Abend vor dem Schlafengehen wiederholen. Durch das wiederholte Zurückkehren an den Ort in ihrer Phantasie koppeln Ihr Körper und Ihr Geist diesen Ort an Entspannung. Mit der Zeit kann somit auch tagsüber ein kurzes Schließen der Augen und der Gedanke an den Ort bereits zu einer Reduktion des Muskeltonus und somit einer Entspannungsreaktion führen.

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Mein Lieblingsbeispiel für die aktiven Verfahren ist die Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson. Dieses Verfahren ist übrigens das bevorzugteste Verfahren, welches an Kliniken oder in Reha-Zentren vermittelt wird – vielleicht ist es Ihnen ja bereits einmal begegnet? Es gibt einige Abwandlungen jeweils mit unterschiedlichem Fokus und mit verschiedener Dauer. Allen gemeinsam ist jedoch:

  • Das bewusste Anspannen und anschließende wieder Entspannen verschiedener Muskelgruppen. Hierbei beginnt man in der Regel mit den Händen und arbeitet sich dann langsam durch den ganzen Körper bis hinunter zu den Füßen vor. Beispiel: „Spannen Sie Ihre rechte Faust an und halten Sie die Anspannung für einige Sekunden. Wie fühlt sich das an? [Pause] Atmen Sie nun tief ein und entspannen Sie die Hand wieder. Achten Sie dabei ganz bewusst auf das Gefühl der Entspannung, welches sich ausbreitet.“
    Wichtig ist dabei zu beachten, dass das Gefühl der Entspannung deutlich länger andauern sollte, als das Gefühl der Anspannung.
  • Durch Üben des Wechsels zwischen Anspannung und Entspannung stellt sich ein Übungseffekt ein. Sie können sich das so Vorstellen, als würden Sie im Fitnessstudio trainieren. Zu Beginn ist jede Übung eher mühsam und bis auf einen Muskelkater merken Sie noch kein Resultat. Mit der Zeit aber gewinnen Sie an Muskelkraft und Ausdauer, der Muskelkater verschwindet.
    So ist es auch mit der PMR. Zu Beginn merken die meisten Personen noch keine Wirkung. Im Gegenteil – Sie müssen sich dazu motivieren, die Übungen jeden Tag auch wirklich zumindest für 10-30 Minuten auszuführen. Mit der Zeit jedoch – nach einigen Wochen – stellt sich ein Übungseffekt ein: Ihr Körper findet zurück zu dem natürlichen Wechsel zwischen An- und Entspannung. Sie entwickeln ein besseres Gefühl für Ihren Körper und ertappen sich nun sehr schnell dabei, wenn Sie wieder mit hochgezogenen Schultern vor dem Bildschirm sitzen. Und Sie gewinnen ein Werkzeug, welches Sie innerhalb von kürzester Zeit aus der Anspannung in die Entspannung zurück führt. Wenn Sie also z.B. spüren, dass Sie innerlich angespannt sind und Ihr Körper die Übungen verinnerlicht hat, so kann es ausreichend sein, wenn Sie kurz z.B. nur Ihre rechte Faust anspannen und wieder bewusst loslassen, um sich vollständig zu entspannen!
  • Die PMR kann darüberhinaus zu einer Verringerung von Angstsymptomatik (wie Unruhe, Erregung, Schwitzen, Zittern…) führen. Da durch die Einleitung der Entspannung der Parasympathicus (der Teil unseres Nervensystems, der für Erholung, für die meisten inneren Organe und den Blutkreislauf zuständig ist) aktiviert wird, kann dadurch unsere Verdauung angeregt werden (hörbar z.B. durch Bauchgeräusche), wir fangen häufig an zu gähnen oder es fängt nach der Anspannung zu Kribbeln an (Anzeichen für stärkere Durchblutung).

Wichtig zu beachten ist: Personen, denen traumatische Erlebnisse widerfahren sind, sollten die Entspannungsverfahren nicht ohne Anwesenheit einer Psychologin/Psychotherapeutin machen. Durch die Entspannung, können unbewusste oder verdrängte Inhalte wieder hochkommen, welche in einem sicheren Umfeld aufgefangen werden müssen.

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Ein schönes Zitat, welches die Bedeutsamkeit der Entspannung bzw. des Entschleunigens und Zeitnehmens für sich selbst veranschaulicht, möchte ich Ihnen nicht verwehren:

Die schönsten Erinnerungen sind stets Erlebnisse, für die man sich Zeit genommen hat. Ich weiß genau, dass ich immer durchs Leben gehetzt bin, zu viel Ungeduld und Rastlosigkeit im Gepäck gehabt, zu viele Chancen verpasst, zu viele wertvolle Menschen im aufgewirbelten Staub übersehen habe.

Charles Kuralt

Denn Zeit nehmen, einfach nur SEIN mit sich selbst, sich spüren, die eigenen Atemzüge wahrnehmen … kann ein kleines Stückchen Glück bedeuten. Eines, welches uns niemand nehmen kann und welches wir immer mit dabei haben.

Wenn Sie die Entspannungsübung einmal ausprobieren möchten, finden Sie hier eine von mir eingesprochene MP3-Version der PMR (Dauer etwa 30 Minuten).

Ihre,

Psychologe Innsbruck
Psychologin in Innsbruck