Anlässlich eines Interviews in der Tiroler Tageszeitung (erschienen im TT-Magazin am 01.07.2018) habe ich mit dem Thema Stress rund um den Urlaub auseinandergesetzt. Gerne möchte ich meine Gedanken und vor allem konkrete Ansätze mit Ihnen teilen.
Wer kennt die Situation nicht? Es geht los in Richtung Urlaub, vielleicht sitzen Sie bereits allesamt im Auto – doch die Stimmung ist angespannt. Was ist falsch gelaufen?
Häufig ist es so, dass wir vor dem Urlaub das Gefühl haben, noch alles für uns Wichtige erledigen zu wollen (Stapel am Schreibtisch abarbeiten, Wohnung putzen, Rasen mähen…). Das führt dazu, dass wir bereits gestresst in den Urlaub starten. Das kann sogar soweit führen, dass wir zu Beginn des Urlaubs erkältet sind. Das ist eine häufige Reaktion nach einer intensiven, stressigen Zeit und passiert insbesondere dann, wenn es einen zu großen Sprung zwischen vollgepackten Arbeitstagen und komplettem Nichtstun gibt. Deshalb ist es wichtig, hier einen langsamen, schrittweisen Übergang zu fördern. Also einerseits zuvor bereits einen Gang runterschalten, Aufgaben delegieren, die Wohnung nicht perfekt aufgeräumt hinterlassen etc. Und andererseits die ersten Urlaubstage nicht komplett auf der Sonnenliege verbringen, sondern durchaus einige Anreize oder Unternehmungen setzen.
Viele von uns haben ein klares Bild davon, wie ein gelungener Urlaub auszusehen hat. Ist dieses Bild vielleicht schlichtweg utopisch?
Grundsätzlich ist es eine tolle Sache, Vorfreude in Hinsicht auf den anstehenden Urlaub zu erleben. Die Reise zu planen, mögliche Sehenswürdigkeiten miteinzubeziehen, im Internet oder im Reiseführer einen Vorgeschmack erleben, mit anderen darüber austauschen, die vielleicht schon einmal am gleichen Ort waren… All das sind Dinge, welche die Vorfreude fördern. Vorfreude trägt zu unserem Wohlbefinden bei, unterstützt positive Gefühle und das Genießen. Wenn wir bereits in positiver Stimmung in den Urlaub starten, ist übrigens auch unsere Stressresistenz größer.
Dennoch ist es wichtig seine Ansprüche an den Urlaub nicht zu hoch zu schrauben. Also nicht zu erwarten, dass alles zu 100% perfekt sein wird (oder sein muss). Wie außerhalb der Urlaubszeit auch – entspricht das in der Regel nicht der Realität. Aber das ist auch gar nicht schlimm. Wichtig ist, worauf wir unseren Fokus setzen. Situationen haben nicht nur negative Aspekte, sondern genauso auch positive. Diese gilt es wahrzunehmen. Wir haben die Wahl, worauf wir unseren Fokus setzen. Regen wir uns darüber auf, dass die Liege nicht bequem ist, die Auswahl am Buffet nur mittelmäßig…? Oder genießen wir das Ausschlafen, die Sonnenstrahlen, die gemeinsame Zeit mit der Familie? Die Forschung zeigt, dass positive Stimmung zu einer sog. „Aufwärtsspirale“ führt. Unsere Wahrnehmung wird breiter, wir nehmen positive Aspekte um uns herum verstärkt wahr.
Was gibt es für konkrete Möglichkeiten, um Stress vorzubeugen?
- Stress reduzieren:
Vorher: Hierfür ist es hilfreich vor dem Urlaub nicht noch alles erledigen zu wollen, Überstunden zu machen oder alle Freunde nochmals zu treffen… Reduzieren Sie Zeitstress und planen Sie Puffer ein, indem Sie z.B. nicht am Freitag direkt nach dem Job bereits in den Urlaub starten, sondern vielleicht erst am Wochenende oder am Montag oder dass Sie früh genug loszufahren, um den Flieger noch zu erreichen etc.
Währenddessen: Auch während des Urlaubs können Sie Stress reduzieren, indem Sie beispielsweise Ihr Diensthandy zuhause lassen und Ihre E-Mails nicht (oder nur an bestimmten Zeiten z.B. 1x/Tag) abrufen.
Ein häufiges Konfliktpotenzial ist zudem, dass die Personen in der Familie (oder im Freundeskreis) alle etwas Unterschiedliches unternehmen wollen. Das ist okay! Gehen Sie Kompromisse ein. Man muss nicht alles gemeinsam machen.
Außerdem gut zu wissen: Ein Urlaub ist nicht nur dann erholsam, wenn wir den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen. Wichtig ist eine Balance aus Entspannung und neuen Erlebnissen (z.B. neue Ort explorieren, unbekannte Gerichte kosten, interessante Menschen kennenlernen…).
Danach: Starten Sie nach dem Urlaub langsam wieder in Ihren Alltag. Lassen Sie zumindest ein Wochenende Zeit zwischen Heimreise und der neuen Arbeitswoche. Gehen Sie es entspannt an und vermeiden Sie wichtige Termine gleich am ersten Arbeitstag. - Gut und rechtzeitig planen: Während der Urlaubszeit Aufgaben abgeben – z.B. Zimmerpflanzen gießen, Katze füttern… Wenn Sie das erst kurz bevor Sie losfahren angehen und dann den Nachbarn, der die Katze füttern soll nicht antreffen… begünstigt das den Stress.
- Vorfreude entstehen lassen: Reiseführer, Internetrecherchen, Austausch mit Freunden, die schon mal vor Ort waren etc. begünstigen die Vorfreude, welche mit Wohlbefinden in Verbindung steht.
- Eine positive Perspektive einnehmen: das heißt die Ansprüche an den Urlaub nicht zu hoch zu schrauben, nicht zu erwarten, dass alles perfekt sein wird. Glück hängt von der Perspektive ab, nicht von den Umständen. Damit ein Urlaub erholsam ist, muss er nicht perfekt sein und wir müssen uns auch nicht rund um die Uhr im siebten Himmel befinden. Es geht darum, worauf wir unseren Fokus setzen. Welchen Gefühlen wir Raum geben – den positiven, oder den negativen.
- Miniurlaube über das Jahr hinweg machen: Und damit meine ich keine Urlaube im herkömmlichen Sinn, sondern sich bewusst und regelmäßig im Terminkalender kleine Auszeiten zu nehmen, wie z.B. die Mittagspause gemeinsam mit der Kollegin im Lieblingsrestaurant verbringen. Oder am Heimweg von der Arbeit ein Eis holen und es genießen. Sich kleine Auszeiten nehmen, Genießen, Positivem den Vorrang geben.
- Dankbar sein: Häufig sind wir so im Alltag gefangen, dass wir vergessen innezuhalten und mit einem dankbaren Blick darauf zu schauen, was unser Leben bereichert. Eine schöne Möglichkeit, um diese Perspektive regelmäßig einzunehmen ist das „Dankbarkeitstagebuch“. Hierfür braucht man etwas zu schreiben (ein Tagebuch, ein Smartphone oder einen PC) und einmal die Woche ein bisschen Zeit, um sich bewusst zu machen und zu beschreiben, wofür man in seinem Leben eigentlich dankbar ist. Wie Studien zeigen, kann man durch regelmäßiges Durchführen der Dankbarkeitsübung (ca. 1x/Woche) aktiv sein Wohlbefinden erhöhen.
- Positive Beziehungen pflegen: Positive Beziehungen tragen ganz wesentlich zu unserem Wohlbefinden bei. Wir alle brauchen Menschen, die uns nahestehen, mit denen wir uns austauschen können, die für uns da sind, wenn wir im Stress sind. Wenn wir regelmäßig in unsere Beziehungen investieren, uns Zeit für unsere Familie und unsere Freunde nehmen, auch außerhalb des Urlaubs gemeinsam etwas unternehmen… dann ist das eine große Ressource, die dabei unterstützt gemeinsam gut in den Urlaub starten zu können.
- Positive Erinnerungen teilen: Der Genuss und die Erholung ist nach dem Urlaub nicht vorbei. Schwelgen Sie in Erinnerungen, treffen Sie sich mit Freunden, tauschen Sie sich über schöne Erlebnisse aus, machen einen Fotoabend u.s.w. Die Positive Psychologie zeigt, dass Genießen nicht nur im Moment, sondern auch in Bezug auf die Zukunft (Vorfreude) und in Hinblick auf die Vergangenheit (Erinnern) stattfinden kann.
Was wenn es während den Urlaubsvorbereitungen oder im Urlaub zu Streitereien oder Enttäuschungen kommt? Wie kann ich damit umgehen?
Ist die Gelassenheit abhandengekommen, ist es hilfreich das anzuerkennen und zu akzeptieren. Richtig stressig wird es nämlich erst, wenn wir uns dann darüber ärgern, uns gegenseitig Vorwürfe machen oder den ganzen Urlaub als sinnlos bezeichnen. Ein wirksames Konzept, welches hier unterstützen kann ist das Selbstmitgefühl. Dieses besteht aus drei Komponenten:
- Achtsam wahrnehmen was ist, ohne zu bewerten. Beobachten Sie welche Gefühle aufgetaucht sind, welche Gedanken Ihnen durch den Kopf gehen, wie Ihr Puls rast etc.
- Verbundenheit schaffen und relativieren im Sinne von: „Es geht uns allen mal so“. Sie sind nicht die einzige Person, oder Familie die mit Stress oder Streit in den Urlaub startet. Sowas kommt vor und geht auch wieder vorbei.
- Freundliche Perspektive einnehmen: Hierfür ist die Vorstellung hilfreich, sich selbst aus der Perspektive eines guten Freundes zu betrachten. Was würde ein guter Freund, der Sie kennt und wertschätzt in solch einer Situation sagen? Vielleicht würde er Ihnen raten, dass Sie sich erstmal etwas Gutes tun? Was könnte das sein?
Außerdem hilfreich ist eine Prise Humor. Wenn Ihnen Missgeschicke geschehen, der Koffer zu platzen droht, das Auto direkt nach Start einen Platten hat oder der Wecker zu spät geklingelt hat – versuchen Sie es mit Humor zu betrachten und gemeinsam darüber zu lachen. Sehen Sie es als Herausforderung, die Sie gemeinsam bewältigen können. Das gemeinsame Lachen bringt hierfür die nötige Leichtigkeit mit ins Spiel.
Häufig wird angenommen, dass man im Urlaub am glücklichsten sein sollte. Was ist, wenn das nicht gelingt?
Viel wichtiger als das eine große Glückserlebnis im Jahr, sind die regelmäßigen Glücksmomente im Alltag. Unser Wohlbefinden braucht eine tägliche Dosis an positiven Gefühlen. Es ist ähnlich wie bei unserer Gesundheit. Es macht mehr Sinn, dass wir täglich einige Portionen Obst und Gemüse zu uns nehmen, anstatt uns nur einmal im Jahr für zwei Wochen gesund zu ernähren und das restliche Jahr von Fastfood zu leben.
Inwiefern spielen gesellschaftliche Wunschvorstellungen und Erwartungen anderer eine Rolle bei einem Urlaub, der sich nicht ganz so gelungen anfühlt?
Eine Übereinstimmung zwischen unseren individuellen Werten und der Art wie wir leben und damit auch den Urlaub gestalten ist zentral für die Frage, ob es zu einem zufriedenstellenden Urlaub wird. Deshalb macht es Sinn für sich oder auch gemeinsam in der Familie herausfinden, was einem wichtig ist. Was sind intrinsische Ziele, also Ziele die mit meinen Werten übereinstimmen, bei welchen Tätigkeiten erlebe ich Freude und komme in den Flow, sodass die Zeit wie im Fluge vergeht? … sind mögliche hilfreiche Fragen.
Was ist aus Sicht der positiven Psychologie ein guter, gelungener Urlaub?
In meiner Praxis werde ich häufig gefragt was ein gelungenes Leben ausmacht. Die Positive Psychologie als Wissenschaft des Gelingenden Lebens hat hierfür Antworten parat, die sich auch auf den Urlaubskontext übertragen lassen. Wohlbefinden lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: Ins Werteglück und ins Wohlfühlglück, beide sind für ein gelungenes Leben wichtig und unterstützen das sogenannte Flourishing, also das Aufblühen von Menschen.
Das Wohlfühlglück besteht aus dem regelmäßigen Erleben von positiven Gefühlen und einer allgemeinen Lebenszufriedenheit. Gemütlich unter der Palme liegen, einen Eisbecher genießen oder entspannt ein Bad nehmen … all das sind Möglichkeiten, das Wohlfühlglück zu fördern.
Genauso braucht es aber auch das Werteglück: Wie der Name schon sagt, spielen hier unsere Werte eine Rolle. Beispiele hierfür sind:
Positive Beziehungen: Wir brauchen geliebte Menschen um uns herum und das Gefühl von Verbundenheit und des „in Kontakt kommens“.
Kompetenz: Für das Wohlbefinden essentiell ist ebenso die Anwendung unserer Stärken. Wenn eine meiner Stärke beispielsweise die Kreativität ist, dann wird mein Wohlbefinden ein höheres sein, wenn ich regelmäßig Möglichkeiten schaffe und nutze um kreativ sein zu können.
Autonomie: Wir brauchen das Gefühl von Selbstbestimmung – also entscheiden zu können, womit ich meine Zeit verbringen möchte.
Finden Sie sich in der ein oder anderen Stresssituation wieder? Wie war Ihr letzter Urlaub und was hat Ihnen dabei geholfen gut mit schwierigen Situationen umzugehen? Hinterlassen Sie mir gerne ein Kommentar oder schreiben Sie mir eine E-Mail.
Herzliche Grüße,
Anmerkung: Die Fragen stammen in ähnlicher Form von der Redakteurin der TT, die mit mir das Interview geführt hat.
Eigentlich ist es ganz einfach 🙂 – annehmen, was kommt, nichts „müssen“, die Dinge laufen lassen…
Vielen Dank für diesen informativen Artikel.
LG Barbara